Aggstein (A)


Eduard Reithmayer und seine Burgenforschung auf Aggstein

   
 

Mehrere direkt vor dem Kassenhäuschen aufgestellte Großvitrinen präsentieren grafisch hervorragende Rekonstruktionzeichnungen der Burgruine in ihrem Zustand nach 1436. Sie stammen von dem Wiener Architekten Eduard Reithmayer (1844-1931), der sich um 1900 dazu entschloss, die Raubburg Aggstein zu durchforschen, aufzunehmen und zu versuchen, dieselbe ….in Wort und Bild nach ihrem wahrscheinlichen ehemaligen Bestande darzustellen. Seine ein jahrzehntlang mit höchstem persönlichen Aufwand betriebenen Studien und Aufmaße legte er 1911 in einer Monographie, die überregional solch große Beachtung erfuhr, dass man Reithmayer umgehend zum „Korrespondenten der k. k. Zentral-Kommission für Kunst und historische Denkmale“ ernannte.
 

Eduard Reithmayer im Alter von 54 Jahren

In seinen autobiografischen Notizen gesteht Reithmayer, dass er sich vor1900 lediglich peripher mit Burgen beschäftigt hatte und daher die gesamte wichtige Burgenliteratur studieren musste, um sich an seine kühnen Rekonstruktionen wagen zu können.

Leider war die von ihm absorbierte Burgenliteratur von der völlig irrigen Vorstellung geprägt, dass die Burgen als Hauptelemente eines vermeintlich finsteren und blutrünstigen Mittelalters nur gewaltige Kriegsbauten gewesen sein konnten. Daraufhin rekonstruierte Reithmayer die zumeist zwei- bis dreigeschossigen Bauten des Aggstein doppelt bis dreifach so hoch, versah diese mit über 30 „Wurf-, Schuß- und Gußerkern“ und mindestens 200 Schießscharten.

Sein Endprodukt war eine gewaltige steinerne Kriegsmaschinerie aus zahllosen vertikalen und horizontalen Verteidigungsebenen, zu deren Bemannung mindestens 200 Verteidiger benötigt worden wären. Dabei besaß die Burg um 1430 eine Besatzung von allenfalls mal einem Dutzend kriegsfähiger Leute! Für seine neu fiktiven Räume fertigte Reithmayer sogar Detailgrundrisse, Schnitte und Funktionspläne an. Typisch für Reithmayers Interpretationsfehler ist das niedrige Feste Haus auf dem Bürgel, das Reithmayer wohl nicht zuletzt durch ein Missverständnis der Zeichnung von 1542 (s.u.), trotz seiner schwächlichen Fundamente für einen riesigen Bergfried hielt. Einen solchen hatte die Burg aufgrund ihrer spektakulären Höhenlage nie nötig.

So steht Reithmayer heute als ein geniales Beispiel dafür, wie die Burgenrezeption des 19. Jahrhunderts unsere Burgen in ihren Dimensionen und Wehrelementen völlig übersteigerte, um sie dem frei erfundenen Mittelalterbild anzupassen.